Das Spiel mit der Angst

Eine Analyse der (massen)medialen Kommunikation und Maßnahmen zu Zeiten der Covid-19 Pandemie nach Machtbegriffen von Foucault

Seminararbeit

VORWORT

Angst – ein Begriff, welcher in den letzten Jahren innerhalb des kulturwissenschaftlichen Bereichs verstärkt zirkuliert und diskutiert wird. (Koch 2013: 1) Die massenmediale Kommunikation von Angst trägt maßgeblich dazu bei, die Bevölkerung hinsichtlich spezifischer Gedankengängen, aber auch Verhaltensweisen zu leiten.

Jetzt, zu Zeiten der Covid-19 Pandemie ist die Angst vor der unsichtbaren Bedrohung im Leben vieler omnipräsent und legt eine tiefe Vulnerabilität offen. Einige der von der Regierung gesetzten Maßnahmen erinnern deutlich an die populären Machtbegriffe Foucaults. Nun ist fraglich, inwiefern die Angst diese Regierungstechniken begünstigt und ob diese Verletzlichkeit und Unsicherheit der Menschen zu Gunsten der Machtausübung instrumentalisiert wird.

Einleitung

Angst – ein Begriff, welcher in den letzten Jahren innerhalb des kulturwissenschaftlichen Bereichs verstärkt zirkuliert und diskutiert wird. (Koch 2013: 1) Amerikanischen Studien der 90er zufolge konnte nachgewiesen werden, dass dieses Thema während der letzten Dekade doppelt so häufig von den Medien aufgegriffen wurde. (Altheide/Michalowski 1999: 488) Dies ist Basis für die Annahme, dass diese Frequenz bis zum heutigen Tag noch deutlich angestiegen ist. Die massenmediale Kommunikation von Angst trägt maßgeblich dazu bei, die Bevölkerung hinsichtlich spezifischer Gedankengängen, aber auch Verhaltensweisen zu leiten (z.B.: manches Verhalten wird als förderlich in Bezug auf die Verringerung von Angst propagiert). (Koch 2013: 2)Angst kann demnach als machtvolles Instrument zur Beeinflussung von Massen betrachtet werden.

Jetzt, zu Zeiten der Covid-19 Pandemie ist die Angst vor der unsichtbaren Bedrohung im Leben vieler omnipräsent und legt eine tiefe Vulnerabilität offen. Einige der von der Regierung gesetzten Maßnahmen erinnern deutlich an die populären Machtbegriffe Foucaults. Nun ist fraglich, inwiefern die Angst diese Regierungstechniken begünstigt und ob diese Verletzlichkeit und Unsicherheit der Menschen zu Gunste der Machtausübung instrumentalisiert wird. Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Maßnahmen, sowie massenmediale Kommunikation im Rahmen von Covid-19 in Anbetracht einiger bedeutenden Machttheorien nach Michel Foucault zu analysieren.

Die vorliegende Arbeit setzt sich aus vier Kapiteln zusammen. Kapitel zwei bietet Ausführungen der wesentlichen Machtbegriffe nach Foucault, wobei zugleich konkret auf die Covid-19 Situation eingegangen wird. Dieser thematische Zusammenschluss wird mit dem knappen Umfang der Seminararbeit begründet. Das darauffolgende Kapitel befasst sich mit der Epistemiologie der Angst, wo umrissen wird was Angst tatsächlich ist, welche Muster dahinter stecken und in weiterer Folge, wie sie medial kommuniziert und exploitiert wird.
Abschließend werden im vierten Kapitel, dem Fazit, der Kern der Arbeit zusammengefasst wiedergeben und die zusammengetragenen Ergebnisse präsentiert.

Foucault’s Machtbegriffe in Bezug auf Covid-19

Die Disziplinarmacht

Die Disziplinarmacht beschreibt die Regulation von Individuen, die mithilfe der Überwachung des Einzelnen und der ständigen Möglichkeit von Bestrafungen erfolgt. Diese Umstände bzw. Konsequenzen werden vom Einzelnen bis zu dem Grad verinnerlicht, wo aktive Handlungen seitens der Autorität selten notwendig sind. Für die Disziplinarmacht charakteristisch ist demnach das von ihr vermittelte Gefühl der ständigen Überwachung, welches Personen dazu motivieren soll, sich zu jeder Zeit normgerecht zu verhalten. (Hannah/ Hutta/ Schemann 2020: 2) Es kommt zu einer angelernten Selbstdisziplinierung, die Disziplinarmacht wirkt dadurch von außen, aber auch innen. (Möller 2008: 2772)
Ein weiteres Ziel dieses Prinzips ist die gesellschaftsfördernde Wirkung welche mit der folgenden Steigerung der Produktivität, sowie des Bewusstseins der öffentlichen Moral einhergeht. (Foucault 1994: 267)

Foucault beschreibt diese Disziplinarmacht ausführlich in seinem Werk „Überwachen und Strafen“ aus dem Jahr 1975, indem er die Ausnahmesituation der Pestseuche zur Veranschaulichung heranzieht. „ […]so träumten die Regierenden vom Pestzustand, um die perfekten Disziplinen funktionieren zu lassen.“ (Foucault 1994: 255) Der Ausnahmezustand wird von der Regierung so weit ausgenützt, die totale Kontrolle über die Bevölkerung zu erlangen. Die Stadt wird unter Quarantäne gestellt und abgeriegelt, das Verlassen oder Betreten gewisser Bereiche wird untersagt. Wird gegen die Anordnungen verstoßen, erfolgt die Todesstrafe. (Foucault 1994: 251) Dieses Szenario erinnert an eine massiv überzeichnete Version des aktuellen globalen Zustandes. Kaum ein Land wurde von der Quarantäne und den damit einhergehenden Einschränkungen verschont. Nun stellte sich in Österreich heraus, dass es sich bei einiger der Verbote, darunter beispielsweise dasVerbot privater Treffen, lediglich um eine Empfehlung bzw. einen Appell an die Bevölkerung handelte. Dies wurde allerdings zunächst gänzlich missverständlich kommuniziert und stiftete massive Verwirrung innerhalb des Landes. (Der Standard 2020) Es stellt sich die Frage, ob es sich hierbei um einen vorsätzlichen Regierungsakt handelte, um herauszufinden, wie weit sich die nicht hinterfragte Kontrolle ausüben lässt. Zudem resultiert Verwirrung in Schwäche und einer Art Ausgeliefertsein sowie Abhängigkeit gegenüber weiterer Kommunikation der Autorität. Die Möglichkeit eines simplen Fauxpas, aufgrund mangelnden Expertise besteht natürlich, jedoch sollte ein gewisses Maß an Professionalität zu erwarten sein, ganz besonders in einer Situation wie dieser, bei der neben der physischen auch die psychische Gesundheit von Milliarden an Menschen auf dem Spiel steht. Manche scheinbar bewusst eingesetzten rhetorischen Mittel von im politischen Bereich auftretenden Personen erinnern stark an den Kern der Disziplinarmacht, denn sie machen beispielsweise das Volk dafür verantwortlich, ob zukünftig die Maßnahmen verschärften werden müssen oder nicht:

„The notion, sometimes formulated explicitly, that ‚We are watching you!‘ is a classic example of seeking to transfer all responsibility for punishments or restrictions onto those under surveillance. We are to accept the idea that if measures are tightened further, it is not because state leaders have made decisions themselves, but rather because of the bad decisions we have made.“ (Hannah 2020: 17)

Eine weitere bewusst eingesetzte kommunikative Methode von Politikern weltweit ist der Einsatz von Kriegsmetaphern. „So sprach Bundeskanzler Kurz schon Mitte März von der ‚größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg‘. Spätestens von diesem Moment an wusste jeder: Die Lage ist ernst, Angst machte sich breit.“ (Krug 2020) Krieg beschreibt einen absoluten Ausnahmezustand in dem Angst und Schrecken herrschen. Die Aufbereitung einer direkten Assoziation einem solchen Zustand ist daher äußerst kontraproduktiv und auch bedenklich. Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte (2020) schreibt in einem von der Zeit veröffentlichten Artikel von „Hunderte[n] von Särgen mit den Gefallenen dieses Krieges gegen einen unsichtbaren Feind.“ wodurch die Angst innerhalb der Bevölkerung erneut wuchs.

Wie zuvor erwähnt, ist das Hauptaugenmerk der Disziplinarmacht die Überwachung. Als verschärfter Überwachungsversuch kann ebenso die versuchte Einführung der „Stopp-Corona“-Applikation verstanden werden. Die App wurde unter der Prämisse vorgestellt, sie sei zur schnellen Unterbindung von weitreichenden Infektionsketten entwickelt worden. (Rotes Kreuz 2020) Jedoch handelte es sich um nichts Geringeres als präzises Contact-Tracing. Welche Relevanz der gesundheitliche Aspekt dabei tatsächlich hatte sei dahingestellt. Die Applikation war jedenfalls nicht überzeugend genug um sich durchzusetzen. Für einen weiteren Aufruhr innerhalb Österreichs sorgte die neu eingeführte Registrierungspflicht für Lokalgäste innerhalb Wiens. Einige Personen erheben aus datenschutzrechtlichen Gründen Einspruch gegen diese Maßnahme.

Die Biomacht

Foucault beschreibt ein weiteres Machtkonzept: die Biomacht. Dabei handelt es sich um die Regulierung unberechenbarer Ereignisse. Diverse Sicherheitsmaßnahmen werden etabliert um eine kollektive „Lebensoptimierung“ umzusetzen.
Die Biomacht kann mit der Aussage „leben zu machen und sterben zu lassen“ erfasst werden.
(Möller 2008: 2772-2773) Streeck (2016: 141) beschreibt sie als „ […] eine ‚Macht zum Leben‘, der es um ‚die vollständige Durchsetzung des Lebens‘ bestellt ist, was durch ‚die sorgfältige Verwaltung der Körper und die rechnerische Planung des Lebens‘ verwirklicht wird.“ Da der Tod die Macht ihrer Wirkung beraubt, sie kann schließlich nur auf einen lebendigen Körper ausgeübt werden, wird dieser zu verhindern versucht. „Gerade in der Tabuisierung und Privatisierung des Todes sah Foucault seinerzeit ein Zeichen für das Wirken von Biomacht.“ (Streeck 2016: 142)

Die Bevölkerung steht bei der Biomacht also im politischen Fokus. (Möller 2008: 2773) Die Biomacht zielt auf Optimierungsprozesse ab, durch welche neue Freiheiten geschaffen werden sollen. (Streeck 2016: 141) In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich von der Disziplinarmacht, bei der die Unterdrückung der Individuuen durchaus eine wesentliche Rolle spielt. Dennoch kann behauptet werden, dass sich Disziplinar- und die Biomacht ergänzen, obwohl sich die Disziplinarmacht individualisierend und die Bionmacht massenkonstituierend auswirkt. (Möller 2008: 2772) Gewisse Aspekte der Disziplinarmacht, wie die Kontrolle der Bevölkerung, machen wesentliche Eigenschaften der Biomacht aus.

Das Ziel der Biomacht ist es, so viele Personen wie nur möglich am Leben zu halten. Dies wird auch in der Covid-19 Situation deutlich. „Leben machen und sterben lassen“- besonders der Ausdruck „sterben lassen“ erinnert in Bezug auf die Covid-19 Pandemie an das angeblich überlastete Gesundheitssystem. Berichten zufolge kam es in italienischen Gesundheitseinrichtungen aufgrund der zu hohen PatientInnenzahl zu derartiger Überforderung, dass das Personal mit moralisch herausfordernde Auswahlentscheidungen konfrontiert werden musste. So wurden Personen mit höheren Lebenschancen, diese waren meist jünger und ohne Vorerkrankungen, eher die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt, als schwächeren. (Lehming 2020) Das Ausschalten der Beatmungsgeräten kommt dem „sterben lassen“ gleich. Der kontinuierliche Versuch, so viele Menschen wie nur möglich vor dem Tod zu bewahren und dabei moralisch fragwürdige, aber rational sinnvolle Schritte einzuleiten, spiegelt das Wesen der Biomacht wider. Daraus lässt sich schließen, dass eine wesentliche biopolitische Maßnahme jener der Eindämmung des schädlichen Viruses ist. Sie soll die Bevölkerung ferner zur Solidarität anregen, was auch das Beispiel dess Prinzips der Selbstquarantäne offenlegt. „Freedom is to be excercised in line with the goals of biopower, that is, in solidarity of other members of the population.“ (Hannah 2020: 25)

Darüber hinaus beschreibt Foucault die Medizin als ein Macht-Wissen, da sie das Individuum und die Bevölkerung zugleich betrifft, wodurch sie einen disziplinären, als auch regulierenden Charakter aufweist. (Möller 2008: 2773) Diese Macht dürfte in der aktuellen Situation jede Person selbst erfahren haben, da es aufgrund der Pandemie auf individueller, aber auch kollektiver Ebene zu einem bedeutsamen Wandel des täglichen Lebens gekommen ist.

Die Gouvernementalität

Der zunnächst angeführte Machtbegriff nach Michel Foucault bezieht sich auf die Gouvernementalität. Diese zählt zu seinen wohl populärsten Theorien, wird aber gleichzeitig als eines der für das Verständnis herausforderndsten Konzepten beschrieben, was wahrscheinlich auf seine Komplexität zurückzuführen ist. (Hannah/ Hutta/ Schemann 2020: 8; Hutchinson/ O’Malley 2019: 64)

Unter diesem Begriff versteht Foucault die instrinsische Motivation des Individuums sich zugunsten des gemeinschaftlichen Wohls als auch mit dem Ziel der Selbstentfaltung stetig selbst zur regieren. Es kommt also zu einer „Verinnerlichung des Regierens“. (Rauter-Nestler 2011: 70) Ein wesentliches Merkmal der Gouvernementalität ist neben ihrem Einfluss auf das Individuum auch der auf die Familie gerichtete Fokus. Demzufolge steht nicht nur der Staat und dessen Optimierung im Zentrum des Interesses, sondern auch die Führung der Bevölkerung auf höchstpersönlicher Ebene. Dafür wird der Vergleich zur Rolle des Familienvaters herangezogen. (Rauter-Nestler 2011: 69-71)

Das Ziel dieser Regierungstechnik liegt darin, den Menschen mit dem Eintreten ins Erwachsenenalter bereits zur Genüge zu einem gouvernementalen Verhalten erzogen zu haben. Das bedeutet, dass Personen aus eigenen Stücken an selbstoptimierenden Praktiken teilhaben möchten. (Hannah 2020: 11) Dieses Zusammenspiel aus dem normgerechten Verhalten und der Motivation zu Optimierungsprozessen ermöglicht der Regierung sich still im Hintergrund aufzuhalten ohne permanent eingreifen zu müssen. Darüber hinaus werden leichte Abweichungen des Normverhaltens zugelassen, sofern diese kein für den Staat oder das System gefährdendes Ausmaß erreichen. (Hannah 2020: 10)

Auffallend wird die Gouvernementalität in Zeiten von Covid-19 besonders durch das strikte und gehorsame Einhalten der vorgeschriebenen Maßnahmen. Besorgniseregend wird es dann, wenn die BürgerInnen beginnen sich gegenseitig zu bespitzeln und der Polizei auszuliefern. Zu Meldungen von potenziellen Regelverstößen kam es in Deutschland und Österreich im Frühjahr wiederholt. (Siemens 2020) Die Verinnerlichung des Selbstregierens sowie die Angst vor möglichen Konsequenzen bei Fehlverhalten bringt manche Personen an solch ein Level der Gehorsamkeit, dass sie sogar die Arbeit der Autoritäten, nämlich die Kontrolle, partiell übernehmen.

Die Polizei

Im Anschluss an das oben behandelte Thema steht nun die Polizei im Fokus. Die Polizei gilt ebenso als Regierungstechnik. Sie wird genauer als „ […] eine Technik, welche die innere Ordnung garantiert und so das Wachstum des Staates ermöglicht.“ (Kogler 2012: 43) verstanden. Die Bevölkerung soll um des Staates Willen von der Polizei im Rahmen gehalten werden. Eine wesentliche Rolle spielt dabei für Foucault auch die Statisik, mit der die Größe der Bevölkerung, Armeen, Resourcen und des Kapitals evaluiert werden und in weiterer Folge Gegenüberstellungen zwischen verschiedenen Staaten aufgestellt werden können. (Kogler 2012: 43) Die Statisik ist jetzt aufgrund der Pandemie in den Medien präsenter als sonst, um die Bevölkerung kontiunierlich auf dem neuesten Stand bezüglich der Infektionszahlen zu halten:

Abb.1: Statistische Darstellung der Infektionszahlen in Österreich (ORF 2020)

„Die Statistik wird durch die Polizei zu einer Notwendigkeit, aber sie wird durch die Polizei auch möglich.“ (Foucault 2004: 454, zitiert nach Kogler 2012: 43)

Die Polizei wird als Verwaltungsappart dargestellt, dessen Aufgabe daraus besteht, Kontrollen auszuführen, wodurch Daten hinsichtlich von Krankheiten, Bildungsstatus oder Liegschaften akkumuliert werden können. (Kogler 2012: 43) Diese Kontrollaufgaben werden jetzt wieder verstärkt ausgeübt, um sicherzustellen, dass beispielsweise die Einhaltung hygienischer Vorschriften, der Mindestabstand von einem Meter etc. gewährleistet werden.

Der Begriff Angst in der Erkenntnistheorie

Definition der Angst

Dieses Kapitel befasst sich nun mit einem, abseits von Foucalts Theorien, für diese Arbeit essentiellen Thema – der Angst. Angst stellt eine Grundemotion des Menschen dar, die sein Leben als auch seine Interaktion zur Aussenwelt maßgeblich prägt. Durch die Angst werden Gefahren signalisiert, die infolgedessen verschiedene Aktionen motivieren, wie z.B. „fight or flight“. Allerdings kann sie sich neben ihren lebensrettenden Fähigkeiten auch kontraproduktiv auswirken, beispielsweise mit dem Eintreten einer Schockstarre. Es besteht auch die Möglichkeit einer irrationalen Überreaktion bzw. Überdramatisierung, besonders wenn eine Angststörung vorliegt. (Koch 2013: 1) Um dem etymologischen Hintergrund des Wortes näherzukommen wird folgendes Zitat herangezogen:

„So ist etwa für den deutschen Sprachkontext nachvollzogen worden, dass sich der Begriff >Angst< über das indogermanische anghu und das althochdeutsche angust entwickelt hat, was mit >Beengung, Bedrängnis< übersetzt werden kann.“ (Koch 2013: 1)

Hierbei ist besonders interessant, dass Angst und Beengung in einem Zusammenhang zu stehen scheinen. Demzufolge lässt sich fragen, ob die Quarantäne, die unweigerlich mit einem Gefühl der Beengung einhergeht, die Angst stark negativ beeinflusst und verstärkt. Ferner ist bekannt, dass mit der Angst stets Erwartungen in Erscheinung treten. Ihr Fokus liegt auf der belastenden Unbestimmtheit zukünftiger Ereignisse, dazu zählt beispielsweise die Antizipation von Schmerzen. (Köstler 2011: 23) Dies ist ein wesentlicher Punkt, denn die Angst vor Schmerzen und im schlimmeren Fall sogar vor dem Tod spielt aufgrund der Pandemie eine große Rolle in den Leben vieler Menschen: „Der Tod ist das Ende aller Freiheit, er berührt diese zwar nicht, beendet aber jeden Lebenssinn und ist damit das Ende aller Möglichkeiten.“ (Koch 2013: 16) Dieser Gedanke kann durchaus „angsteinflößend“ sein. Die Angst kann als gegenstandslose Emotion erfasst werden, die sich auf Unbestimmtes richtet. (Köstler 2011: 21) „Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes. Man will sehen, was nach einem greift, man will es erkennen oder zumindest einreihen können. „(Canetti 2013: 13, nach Koch 2013: 17) Das Virus ist für uns unsichtbar und schädlich zugleich, was das Aufkommen von Angst stark begünstigt.

Die Angst ist außerdem ein kulturelles Phänomen, wie sie erlebt und wodurch sie unterstützt wird ist demzufolge historisch variabel. (Koch 2013: 5) Da in unserer Kultur nun verstärkt von digitalen Massenmedien Gebrauch gemacht wird, ist davon auszugehen, dass sich die Angst infolge dieses Prozesses auf eine neue Art und Weise ausbreitet. Sie integriert sich leicht in die Schnelllebigkeit dieses Zeitalters und ihre rasche Zirkulation wird durch die Social Media begünstigt, wie im folgenden Kapitel näher beleuchtet wird.

Bewusste Induktion der Angst durch die Medien

Ein Mediensystem wird als autonomer Funktionsbereich der modernen Gesellschaft bezeichnet, durch den ein umfassendes Informationsangebot zustande kommt. (Köstler 2011: 44) Die Nachrichten, die mittels der Medien generiert werden gelten als lukratives Geschäft. (Altheide/Michalowski 1999: 485) Die Überschriften werden daraufhin bewusst so gewählt, dass sie ein möglich hohes Maß an Aufmerksamkeit erlangen, dies gilt für analoge Print-, sowie Onlinemedien. Laut Altheide und Michalowski (1999: 475) hat sich die Häufigkeit des Angstbegriffs in den Überschriften in den letzten Jahren mehr als verdoppelt. Dabei ist als wesentlich zu beachten, dass diese Feststellung bereits aus dem Jahr 1999 stammt, was den Fakt allerdings nicht weniger spannend macht, insbesondere weil eine Steigerung dieses Phänomens anzunehmen ist. Infolge dieser Studie konnte außerdem festgestellt werden, dass eine immer größer werdende Anzahl an AmerikanerInnen ihr Leben als furchtsam und riskant empfinden. (Altheide/ Michalowsky 1999: 499) Die Massenmedien konstruieren also zu einem gewissen Grad die Realität in der wir Leben. Die Medien verfügen demgemäß über eine nicht zu unterschätzende Art sozialer Kontrolle über die Bevölkerung: „Words are powerful when they become symbolic frames that direct discursive practices.“ (Altheide/ Michalowsky 1999: 500)
Diese mediale Eigenschaft wird ebenso von Koch festgehalten:

„Eine zentrale Funktion innerhalb der kommunikativen Prozessierung von Angst kommt dabei (insbesondere in der westlichen Gegenwartsgesellschaften) den Massenmedien zu, die auf dem Weg einer Fiktionalisierung der Wirklichkeit zu Narrationen und Figurationen verdichtete, emotionale Schablonen anbieten, die Orientierung darüber geben, wie und wovor man Angst haben sollte, welche Verhaltensweisen zur Verminderung von Angst beitragen oder was als Angst-anlass ignoriert werden kann.“ (Koch 2013: 2)

Es ist daher essentiell den Medien und den von ihnen angebotenen Inhalten auf eine kritisch-reflektierte Art gegenüberzutreten, da gewisse Themen nicht realitätsgetreu dargestellt werden z.B. durch eine Überzeichnung der eigentlichen Geschehnisse, um das Drama, das sich in weiterer Folge als gewinnbringend für das Medienunternehmen erweisen kann, so lang wie möglich zu erhalten. Angst ist ein Konstrukt, das die Medien genau einzusetzen wissen. (Altheide/ Michalowsky 1999: 500) „In Form von seriell auf Dauer gestellten Breaking News wird die zur Furcht depotenzierte Angst einerseits zu einem permanenten Begleiter im Alltag […]“ (Koch 2013: 10)Nimmt die mediale Manipulation diese Ausmaß an, wurde bereits ein äußerstbesorgniserrgegendes Level an sozialer Kontrolle erreicht „[…] da selbst alltägliche Handlungen heute als inhärent riskant und gefährlich wahrgenommen werden.“ (Koch 2013: 11) So stellen heute selbst die täglichen Aktivitäten wie beispielsweise das Einkaufen, eine riesige Herausforderung für einige Personen dar, da ein permanentes Infektionsrisiko besteht, an das man medial auch fortwährend erinnert wird.

Als letztes Beispiel für den medialen Umgang mit der Angst soll ein kürzlich erfolgtes Titelbild der New York Times dienen. Koch (2013: 16) spricht von einer durch die Massenmedien gegebene „neuen Sichtbarkeit des Todes“. Kaum etwas untermalt diesen Ausdruck so deutlich wie das unten angeführte Titelblatt, das die Namen einige der Todesopfer der Pandemie ehren soll.


Abb. 2: Abbildung der Covid-19 Opfer auf der Titelseite der New York Times (The Guardian 2020)

Fazit

Diese Arbeit konzentrierte sich auf vier der größten Machtbegriffe Foucaults: der Disziplinarmacht, welche die Regulation individueller Körper und eine weitreichende Überwachung zum Ziel hat. (Hannah/ Hutta/ Schemann 2020: 2) Der Biomacht, die es auf lebensoptimierende Prozesse abgesehen hat und eine möglichst hohe Zahl an Überlebenden anstrebt. (Streeck 2016: 141) Der Gouvernementalität, bei der sich die Regierung im Hintergrund hält, da sich die Individuuen zu Gunsten der Gesellschaft und Selbstentfaltung eigenständig regieren (Rauter-Nestler 2011: 70) und zuletzt der Polizei, welche die innere Ordnung eines Staates und konformes Verhalten der BürgerInnen sicherstellen soll. (Kogler 2012: 43) Betrachtet man all diese Konzepte und ihre Eigenschaften wird deutlich, dass sie doch alle miteinander verwoben sind. Dadurch wurde ermöglicht, die aktuelle Situation der Pandemie diesen Begriffe gegenüberzustellen. So lassen sich Ansätze der Disziplinarmacht in der verordneten Quarantäne, den Verboten, aber auch besonders in der Rhetorik der PolitikerInnen wiederfinden. Einen biopolitischen Charakter weist die versuchte Eindämmung des Viruses auf, bei welcher gegenüber der gesamten Bevölkerung an die Solidarität appelliert wird. Die Gouvernementalität ist allgegenwärtig durch das regelkonforme Verhalten und Befolgen der Anordnungen. Sie kann sogar so weit gehen, dass Bürger einander ausliefern, um konform zu sein. Hier schreitet die Polizei ein, die versucht, die Kontrolle zu bewahren und wenn nötig, Bestrafungen durchzuführen. Außerdem werden statistische Methoden eingesetzt, die besonders in Zeiten wie diesen von hoher Relevanz sind, um einen „Überblick“ der aktuellen Entwicklungen zu geben.

Und doch scheint die Angst der gemeinsame Nenner all dieser Regierungstechniken zu sein, der ihre Macht überhaupt erst auf ein hohes Maß ansteigen lässt. Sie beschreibt eine der elementaren Emotionen des Menschen, die sich signifikant auf dessen Verhalten und Wahrnehmung auswirkt. (Koch 2013: 1) Sie richtet sich besonders auf Diffuses, auf die Unbestimmtheit zukünftiger Ereignisse (Köstler 2011: 21) und ist dort am größten, wo das Unbekannte herrscht.
Das Covid-19 Virus trifft also eine tiefe Schwachstelle der Menschheit, indem er eine für sie unsichtbare Bedrohung ausmacht. Diese Angst wird problematischerweise missbraucht, von den Medien als auch EntscheidungsträgerInnen. Die Medien bedienen sich überdramatisierender Überschriften um mehr Reichweite zu erlangen, mit dem Nebeneffekt, dass der von ihnen verbreitete Inhalt durchaus einen bleibenden Eindruck bei den LeserInnen hinterlässt und mit ihren Gefühlen spielt. Als prägnantes Beispiel dient das Titelblatt der New York Times, das mit seiner Abbildung der Namen der Todesopfer in seiner Dramatik kaum zu übertreffen ist. Selbstverständlich handelt es sich um unglaublich tragische Geschehnisse, jedoch leitet die aktuelle Handhabung derer eher in Richtung Massenpanik als zu einer konstruktiven Analyse der aktuellen Situation.

Abschließend lässt sich behaupten, dass das Spiel mit dem Phänomen Angst autoritäres Verhalten immer begünstigt und sie demzufolge instrumentalisiert wird.

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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Statistische Darstellung der Infektionszahlen in Österreich laut dem ORF. Online unter: https://www.facebook.com/ZeitimBild/photos/a.381568636877/10158701460141878
ZIB facebook seite [28.9.2020 21:33]
Abbildung 2: Abbildung der Covid-19 Opfer auf der Titelseite der New York Times. Online unter: https://www.theguardian.com/world/2020/may/24/new-york-times-front-page-1000-covid-19-death-notices [3.10.2020 20:13]

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