Die Verordnung ist von derselben juristischen „Qualität“ wie ihre Vorgänger-Verordnungen.
Nach § 5 Abs 1 COVID-19 Maßnahmengesetz kann durch Verordnung angeordnet werden, dass das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zwecken zulässig ist, sofern es zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 unerlässlich ist, um einen drohenden Zusammenbruch der medizinischen Versorgung oder ähnlich gelagerte Notsituationen zu verhindern, und Maßnahmen gemäß den §§ 3, 4 nicht ausreichen.
Die vom Gesetz geforderte Unerlässlichkeit zur Verhinderung eines drohenden Zusammenbruchs der medizinischen Versorgung oder ähnlich gelagerter Notsituationen, wobei mit gelinderen Mitteln nicht das Auslangen gefunden werden kann, kann bei evidenzbasierter Beurteilung der Faktenlage allen Ernstes nicht angenommen werden.
Es droht weder ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems noch liegt ein Notstand als Situation, in der ein Staat in bedrängender Gefahr ist, vor. Als nationaler Notstand wird als Ausnahmezustand ein Zustand bezeichnet, in dem die Existenz des Staates, oder die Erfüllung von staatlichen Grundfunktionen von einer maßgeblichen Instanz als akut bedroht erachtet werden kann.
Was sich dazu als Dokumentation im Verordnungsakt befindet, wird spannend werden.
Nach den bisherigen Erfahrungen mit den, im Rahmen von verfassungsgerichtlich geführten Verfahren offen gelegten Verordnungsakten, die allesamt schlichtweg „leer“ waren, wird man außer „Leerheit“ nicht allzu viel erwarten dürfen, evidenzbasiertes Material wohl kaum. Auch wenn dort von „Infektionszahlen“ die Rede sein sollte, sind solche Zahlen ohne weitere Bezugsgrößen, insbesondere wie Anzahl der Testungen, symptomfreie Fälle, diagnostische Abklärungen durch Ärzte, Hospitalisierungen aufgrund von Vorerkrankungen etc., nicht aussagekräftig.
Die Bestimmung in § 1 Abs 2 der Verordnung, dass beim Betreten öffentlicher Orte in geschlossenen Räumen gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindesten 1 Meter einzuhalten und eine den Mund-Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen ist, wurde erst kürzlich durch das Erkenntnis des VfGH vom 01.10.2020, G 271/2020, V 463/2020, in Bezug auf die Wortfolge „und eine den Mund-und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen“, als gesetzwidrig aufgehoben (abrufbar unter www.vfgh.gv.at ). Nun findet sich die durch den VfGH als gesetzwidrig erkannte Bestimmung wieder in der neuen Verordnung.
Die Untersagung von Ausgangszeiten in § 2 der Verordnung, nämlich von 20.00 Uhr bis 06.00 Uhr des folgenden Tages, ist durch die gesetzliche Ermächtigungsnorm des § 5 Abs1 COVID-19-Maßnahmengesetz nicht gedeckt, weil eine Beschränkung nur zu bestimmten Zwecken, nicht aber zu bestimmten Zeiten erfolgen darf.
Die Ausnahmen zur Ausgangsregelung in § 2 der Verordnung sind unklar, in hohem Maße auslegungsbedürftig und schlichtweg intransparent, insbesondere was den „eigenen privaten Wohnbereich“ betrifft, der gesetzlich nicht geregelt werden darf.
Das Betretungsverbot von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe, von Beherbergungsbetrieben, von Freizeiteinrichtungen und die Untersagung von Veranstaltungen ist ein erneuerter „Angriff“ auf die Wirtschaft unseres Landes, der in seiner Gesamtheit von einer Verhältnismäßigkeit keinesfalls getragen ist.
Das Landesverwaltungsgericht Wien erkannte mit seiner Erkenntnis vom 08.06.2020 zu Recht, dass in dem dort zu beurteilenden Fall ein Mindestabstand nur beim Betreten des öffentlichen Ortes, nicht aber während der Aufenthaltsdauer einzuhalten ist. Auch die Strafnorm sanktioniert nur das Betreten, nicht aber die Einhaltung eines Mindestabstandes (das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verwaltungsdelikt sah das Gericht als nicht tatbildmäßig an, „weil der Beschwerdeführer erst nach dem Betreten…..des Platzes den Mindestabstand unterschritten hat. Aber selbst wenn man das Tatbild….als erfüllt ansähe, wäre sein Verhalten trotz Tatbildmäßigkeit nicht strafbar, weil die Strafnorm des …. COVID-19-Maßnahmengesetz allein (verordnete) Betretungsverbote sanktioniert hat und eben nicht bestimmte Handlungsweisen (Nichteinhaltung des Mindestabstandes zu bestimmten anderen Menschen) während des Betretens von oder des Aufenthalts an öffentlichen Orten“).
Daraus folgt, dass überall dort, wo die Verordnung auf ein „Betreten“ abstellt, der „Aufenthalt“ bzw. ein „Verweilen“ nicht umfasst ist.
Die in den § 10 Abs 2 und § 11 Abs 2 der Verordnung vorgesehenen „Zwangstestungen“ für Mitarbeiter (bzw. auch Besucher) von Alters-, Pflege-und Gesundheitseinrichtungen ist nicht einmal durch § 5 Abs 1 Epidemiegesetz 1950 gedeckt (dort ist die Entnahme von Untersuchungsmaterial nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich), sondern ein offenkundig schwerwiegender Verstoß gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grundrechte auf Leben, Achtung der Privat-und Familiensphäre und der Erwerbsfreiheit, letztlich auch gegen §110 StGB (eigenmächtige Heilbehandlung). Sollte jemand dadurch zu Schaden kommen, zum Beispiel, weil er in Folge Verweigerung von Tests gekündigt oder entlassen wird, ist anzuraten, die Kündigung oder Entlassung vor den zuständigen Arbeitsgerichten anzufechten. Es stellt sich die Frage, ob überhaupt eine Dienstverpflichtung des Arbeitnehmers noch besteht, wenn er derartige Testungen verweigert, jedoch zur Erbringung der Arbeitsleistung, wie immer, bereit ist (also Dienstfreistellung bei vollständiger Lohnfortzahlung).
Die Verpflichtung, den Ausnahmegrund des § 15 Abs 3 (Befreiung von der MNS-Maske) durch eine von einem in Österreich zur selbstständigen Berufsausübung berechtigten Arzt ausgestellte Bestätigung nachzuweisen, ist nicht nur gegenüber ausländischen Ärzten, besonders in der EU, grob diskriminierend, sondern auch inhaltlich unbestimmt, weil nichts darüber festgelegt wird, wem gegenüber einer solcher Nachweis zu welchem Zeitpunkt zu erbringen ist.
Dieser Kommentar beschränkt sich auf eine kurze Durchsicht einer wiederum als gesetz-und verfassungswidrig zu beurteilenden Verordnung, die unsere Grundrechte missachtet.
Auch diese Verordnung wird von uns vor dem Verfassungsgerichtshof angefochten
RA Dr. Michael Brunner